Thüringer Klöße

Eigentlich suchte ich etwas ganz anderes und stieß bei der Suche auf den schon etwas älteren Artikel „Thüringer Klöße: Die Geschichte eines Scheiterns„, der mich sehr amüsierte. Hier im Norden sind Klöße ja eher nicht so populär, werden gern mal mit Knödeln verwechselt oder mit der Konsistenz von Tennisbällen serviert. Das ist gruselig und wird richtigen Klößen nicht gerecht.

Mit Thüringer Vorfahren und Verwandtschaft bin ich mit viel leckerem Kuchen und natürlich auch mit Thüringer Klößen aufgewachsen und liebe sie – auch wenn sie leider zu zeitintensiv sind, um sie öfter zu machen. (Ja, ja, selbst meine Verwandtschaft nutzt inzwischen Kloßteig aus dem Supermarkt, aber irgendwie … nee, das ist Blasphemie. Dann lieber nur zweimal im Jahr Klöße, dafür aber selbstgemacht. 😉 )

Wer sie also nachkochen möchte, dem verrate ich hier das Rezept, das in meiner Familie benutzt wird. Die Originalmengenangaben beginnen mit einem 5-Liter-Eimer Kartoffeln 😉 Ich rechne mit etwa 800g Kartoffeln pro Person, da werden alle satt und es bleiben noch ein bis zwei Klöße übrig, die man am nächsten Tag scheibchenweise in der Pfanne braten kann. (Lecker!)

Los gehts – ihr braucht:

  • Mehlig kochende Kartoffeln – ca. 800 g pro Person
  • ein paar Scheiben Weißbrot oder Brötchen
  • etwas Butter
  • Salz
  • eine große Metallschüssel
  • einen ordentlichen Quirl
  • einen Entsafter – zum Beispiel „Malina“

Brot oder Brötchen werden in kleine Würfel geschnitten und mit der Butter in der Pfanne geröstet und zur Seite gestellt.

Die Kartoffeln schälen und ein Drittel klein schneiden und ohne Salz kochen. Wenn sie gar sind, werden sie durch ein Sieb gedrückt oder mit dem Pürierstab zu einem relativ flüssigen Brei verarbeitet.

Die restlichen zwei Drittel der Kartoffeln reiben und auspressen. Das kann man sicherlich von Hand machen, in meiner Verwandtschaft macht das traditionell seit mindestens 50 Jahren ein Entsafter. Zu DDR-Zeiten hieß das Gerät „Malina“ – es gibt auch aktuelle Entsafter, die diesen Zweck erfüllen. Geeignet sind Geräte, die nicht den Trester (das sind die festen Bestandteile – hier also der Kartoffelrieb oder auch Kartoffelschab) auswerfen, sondern nur den Saft (also in dem Fall das Kartoffelwasser) ablaufen lassen und die festen Bestandteile richtig lange schleudern. Die Kartoffeln werden also in der Malina gerieben und so lange geschleudert, bis kein Wasser mehr aus dem Gerät kommt. Die geriebenen Kartoffeln sind dann richtig, richtig trocken und zerkrümeln in der Hand.

Über den fein zerkrümelten Kartoffelrieb wird nun nach und nach der wirklich kochend heiße Kartoffelbrei gegossen und zusammen mit etwas Salz kräftig untergerührt. Achtung: Das kann spritzen! Nicht gleich alles auf einmal zugeben, der Brei muss richtig heiß sein und „brühen“ – sich also richtig mit den rohen Kartoffeln verbinden. Es muss ein fester und glatter Teig entstehen, der sich gut von der Schüsselwand löst. Ist er zu trocken, kann man noch etwas Wasser (oder das ausgepresste Kartoffelwasser) hinzufügen. Aus diesem Teig werden nun Klöße geformt, in deren Mitte jeweils 3-5 Bröckelchen (also die gerösteten Brotstückchen) eingeknetet werden.

Die Klöße anschließend für ca. 15 bis 20 Minuten in heißes, aber gerade nicht mehr siedendes Wasser legen. Wenn sie oben schwimmen, sind sie gar.

Dazu gehört Fleisch mit viel Soße und Rotkraut.

Guten Appetit!

Mist, jetzt hab ich Appetit auf Klöße und keine da. 😉

Ansonsten gibt es nichts Neues hier. Wir arbeiten: Mann und Kind im Homeoffice und Distanzbeschulung, ich im Wechselmodell – eine Woche Büro, eine Woche Homeoffice. Es ist anstrengend, ich bin dauermüde und komme zu nichts.

30 Jahre Mauerfall

Im Herbst 1989 war ich (gerade noch) 18 Jahre alt, im dritten Lehrjahr meiner Berufsausbildung mit Abitur, lebte in Leipzig und war in der Jungen Gemeinde meiner Kirchgemeinde und im Jugendkonvent der Stadt aktiv. Wir hatten im vergangen Jahr einen ökumenischen Jugendtag zum Thema „Türen in die Mauern der Resignation“ organisiert, gingen Montag Nachmittag immer mal wieder zum Friedensgebet in die Nikolaikirche und hatten gerade eine Radtour durch Ungarn gemacht – 7 Leute alle aus der eher alternativen Ecke radeln auf Fahrrädern ohne Gangschaltung oder sonstige Extras 500 km durch Ungarn. Das hatte schon was. Für den „besonderen Kick“ wurde uns dann in der ersten Nacht auf dem Campingplatz ein Fahrrad geklaut und über ein paar Ecken, weil die Übersetzerin bei der Polizei („Bicycle zapp­za­rapp“) jemanden kannte, der jemanden kannte … konnten wir uns schließlich beim Pfarrer ein Fahrrad leihen, so dass wir unsere geplante Tour überhaupt durchführen konnten. Weil wir das Rad auch zurückbringen mussten, wurde aus der geplanten Tour von Mezőkövesd nach Budapest schließlich eine Rundtour und wir fuhren mit dem Zug nach Budapest, von wo auch der Zug nach Hause startete.

Während der Fahrt begegneten uns immer mal deutschsprachige Zeitungen, die in großen Schlagzeilen von Menschen berichteten, die über Ungarn in „den Westen“ ausreisten. Denn Ungarn hatte die Grenzen geöffnet. Wir fanden das zwar interessant, aber tatsächlich hatte keiner von uns das Bedürfnis, am Ende der Tour statt nach Leipzig in eine andere Richtung zu reisen. Was sollten wir denn da? Klar, mal Urlaub machen und alles ansehen – Okay. Aber abhauen und Freunde und Familie dann vielleicht jahr(zehnt)elang nicht wiedersehen? Das schien irgendwie keine gute Wahl zu sein.

Also ging es Ende August 1989 wieder zurück nach Leipzig, montags in die Nikolaikirche und in die Innenstadt, etwas später dann anschließend auf den Ring. Immer mit etwas Angst im Nacken, weil man meist 1-2 Tage später erfuhr, wer am Montag wieder „zugeführt“ worden war. Das waren Menschen aus dem eigenen Umfeld, die lediglich laut ihre Meinung gesagt hatten. Durch die Innenstadt zu laufen, an Polizisten vorbei, war schon beängstigend, weil man nie wusste, ob die Stimmung nicht irgendwann kippt. Letztendlich blieb alles friedlich und ab Anfang Oktober waren es dann so viele Menschen und die internationale Aufmerksamkeit so groß, dass man sich in der Menge schon wieder sicher fühlte. Ab dem Zeitpunkt wurden dann auch die Stimmen lauter, die nicht mehr „WIR sind das Volk!“, sondern „Wir sind EIN Volk!“ riefen. Eine Meinung, die ich nicht teilte. Wie viele andere wollte ich eher Reformen im eigenen Land statt den Anschluss an ein anderes (mir doch sehr fremdes) Land.

Dass Herr Schabowski am 9. November aus Versehen die Grenze öffnete, habe ich an dem Abend nicht mitbekommen. Am nächsten Tag war es natürlich überall Thema und so holte ich mir brav meinen Stempel „Visum zur Ausreise – [ ] einmalig [x] mehrmalig gültig“ und fuhr am Wochenende mit meinem damaligen Freund mit der Bahn nach Berlin, die andere Seite der Stadt angucken.

Und weil es gerade tausende Fotos von Trabis gibt, die über die Grenze fahren und von Menschen, die auf der Mauer sitzen oder stehen, gibt es von mir ein paar Impressionen von der Radtour aus dem Sommer 1989. (Meine Güte, waren die Fotos schlecht und farbstichig. Das ist ist schon die optimierte Variante – in meinem Fotoalbum ist alles rot!)

Los geht's

Höchster Punkt der Tour an der Strecke nach Aggtelek

Belapatfalva

Eger

Vasarely-Museum Budapest

Karte der Tour

Frohe Ostern!

Wir begannen die Feiertage diesmal am Karfreitag mit einem Besuch bei meiner Schwägerin und ihrer Familie, was schon ungewöhnlich ist, wir sehen uns nämlich sehr selten (obwohl wir nur ca. eine Autostunde voneinander entfernt wohnen). Es war ein schöner Nachmittag, nur Saskia schnupfte und hustete vor sich hin und wollte irgendwann heim.

Vollmond am Karfreitag

Am Samstag wurden Eier gefärbt, Eis gegessen und nachdem ich im Haus noch ein Weilchen dem Osterhasen bei seinen Vorbereitungen zur Hand gegangen war, gingen wir zum Osterfeuer. Weit hatten wir es ja diesmal nicht. Das Osterfeuer fiel allerdings in diesem Jahr deutlich kleiner aus als in den vergangenen Jahren. Wegen der Trockenheit waren in der Umgebung etliche Feuer abgesagt worden, unsere Freiwillige Feuerwehr hatte entschieden, das Feuer in etwas kleinerer Form stattfinden zu lassen.

Osterfeuer 2019

Auch ’ne Möglichkeit, aber seltsam war es schon. Vor ein paar Jahren hat die Feuerwehr stundenlang den Wald hinterm Osterfeuer bewässert, weil es auch sehr trocken war. Am Ende war der ganze Platz eine große Matschfläche und ich hatte trotzdem Angst, dass ein Funke etwas weiter fliegt und der Wald doch noch Feuer fängt. Insofern war es schon Okay so. Mein liebes Töchterlein war allerdings eher in Motz- und Maulstimmung, erzählte dass ihr kalt sei, wollte sich aber auch nicht in die Nähe des Feuers stellen, um sich aufzuwärmen, verstand nicht, weshalb wir nicht bereit waren, an einem Stand das x-te blinkende Spielzeug zu kaufen (das nicht mal den Abend lang interessant ist und nur zu Hause irgendwo rumliegt) und machte sehr deutlich, dass sie keine Lust hatte.

Der Ostersonntag begann für mich traditionell sehr früh mit einem schönen Gottesdienst.

Früh am Morgen

Morgenstimmung am Teich

Anschließend wurden im Garten hinterm Haus Eier bzw. Osterkörbchen versteckt und dann ging ich erstmal wieder in die Wohnung. Bis wir dann alle angezogen waren und gefrühstückt hatten, vergingen noch 2 Stunden. Ich hatte ja vorgeschlagen, nach der Eiersuche im Haus zu frühstücken, aber meine Familie hatte andere Pläne. Nun gut.

Der Osterhase war auch wieder fleißig. (Der Plüschhund stammt nicht aus einem Osternest, der musste mit suchen.)

Osterhase

Osterausbeute

Wir gingen wieder zur Wohnung, wo wir gemeinsam mit der Oma Gulasch und Klöße aßen und etwas später noch netten Besuch zu Kaffee und Kuchen hatten. Nach dem Kaffeetrinken verzog sich die U18-Fraktion in Saskias Zimmer1 und wir „Alten“ unterhielten uns über alte Zeiten, Reise(un)möglichkeiten für DDR-Bürger2 und die auch später noch komplizierteren Bedingungen, als es noch Grenzkontrollen gab und man viel Bargeld in der richtigen Währung dabei haben musste … und wie einfach das Reisen heute ist. Wir kamen auf den Brexit und es fiel der Satz des Tages für mich (von einer gebürtigen Britin): „Die Queen kann meinen Pass gern zurück haben – in hundert Teilen und mit tausend Kisses. (Ich bin froh, dass ich in Deutschland eingebürgert bin.)“ Kann ich irgendwie verstehen – so lässt sich das Brexit-Chaos vermutlich deutlich entspannter beobachten.

Als alle wieder weg waren, zwangen wir unser Kind nochmal, mit uns raus zu gehen und einen kleinen Osterspaziergang zu machen.

Baum

(Ich habe keine Ahnung, was das für ein Baum ist, aber er hat unheimlich viele sehr weiche Blüten.)

Blüten

Heute gibt es gleich noch einen Ausflug mit Freunden zum Märchenwanderweg und morgen hat uns dann auch schon der Alltag wieder.

In diesem Sinne:
Frohe Ostern!


1 Seit wir hier in der Wohnung wohnen, nutzt Saskia ihr Zimmer deutlich häufiger als drüben im Haus – sowohl, wenn wir allein sind, als auch mit Besuch. Da müssen wir, wenn wir irgendwann wieder zurück ziehen, mal sehen, wie wir das auch dort hinbekommen. Ich finde das nämlich sehr schön.

2 Irgendwie treffen wir hier „im Westen“ erstaunlich viele Menschen, bei denen sich beim näheren Kennenlernen herausstellt, dass sie aus der ehemaligen DDR stammen. Saskias ehemalige Ergotherapeutin (ebenfalls Ossi) hatte ja dazu eine Theorie und inzwischen neige ich dazu, ihr zuzustimmen. (Ich winke mal ans andere Ende der Stadt. Wir sollten uns mal wieder treffen.)

Halbjahresferien

In meiner Schulzeit gab es Anfang Februar Halbjahreszeugnisse und danach waren immerhin 3 Wochen Winterferien, die wir gern in Thüringen bei der Verwandtschaft verbrachten.

In Saskias Schulzeit gibt es am Ende des jeweiligen Schulhalbjahres ein „Förderplangespräch“ und einen Tag Ferien. Aus organisatorischen Gründen sind es an ihrer Schule dann doch zwei – und diesen Wahnsinnsurlaub nutzen Saskia und ich, um übers Wochenende die Oma in Leipzig zu besuchen während der beste Ehemann von allen sich hier „einen Fetten macht“ und die sturmfreie Bude genießt leider arbeiten muss.

Bei den Gesprächen hörten wir heute von Klassenlehrerin, Erzieherin, Musik- und Sportlehrerin und Therapeutinnen fast nur Lob und Bewunderung darüber, wie gut sich Saskia doch entwickelt habe. Sie spreche viel mehr – wenn auch manchmal noch sehr leise, sei fast gar nicht mehr zickig, hätte einen großen Schritt in puncto Selbstständigkeit gemacht usw. usf. Besonders seit dem Herbst seien große Fortschritte erkennbar.

Eine mögliche Erklärung wäre nun, dass die Delfintherapie tatsächlich etwas in dieser Richtung ausgelöst hat. Eine andere Erklärung wäre, dass die fehlende Schulbegleitung eben auch einen positiven Effekt hatte – nämlich die zwangsweise größere Selbstständigkeit. Saskias bisherige Schulbegleitung fehlt nämlich seit September – zunächst war sie krank, nun ist sie schwanger und darf (aus versicherungstechnischen Gründen) nicht mehr arbeiten – und die Suche nach einer neuen Schulbegleitung gestaltete sich erstaunlich schwierig und zäh. Ab nächste Woche soll sie aber kommen, wir kennen sie noch nicht und sind sehr gespannt … und hoffen, dass Saskia nicht die Schulbegleitung nutzt, um plötzlich wieder gar nichts mehr selbst zu machen.

Da kommt dann auch gleich die Frage auf, ob wir die Schulbegleitung fürs neue Schuljahr überhaupt wieder beantragen sollten (das müssten wir nämlich demnächst eigentlich tun).

Jetzt aber sind erstmal Ferien. 😉

25 Jahre Mauerfall – Erinnerungen an den Herbst 1989

Am 9. November 1989 war ich gerade noch 18 Jahre, lebte in Leipzig, war im dritten Lehrjahr meiner Berufsausbildung zum Maschinen- und Anlagenmonteur und würde diese gemeinsam mit dem Abitur im Sommer 1990 abschließen.

Ich war Jung- und später Thälmannpionier gewesen, war in der FDJ ebenso wie in der Jungen Gemeinde, ich hatte mit 14 an der Jugendweihe teilgenommen – und es auch nie in Frage gestellt. Ich wurde mit 17 konfirmiert – auf meinen Wunsch hin. Einigen reichte die Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche, um mich skeptisch anzusehen, für größere Repressalien reichte es nicht. Dass ich meinen Wunsch-Ausbildungsplatz nicht bekommen habe, lag eher an den guten Beziehungen, die jemand anders hatte und die mir eben fehlten (genauso wie die West-Verwandtschaft, die nette Päckchen schickte). Ich wusste nach meiner Ausbildung immerhin, wo ich NICHT die nächsten Jahrzehnte arbeiten wollte – ist ja auch was wert. 😉

Über die Kirche bzw. die Junge Gemeinde lernte ich etliche Menschen aus anderen Gemeinden kennen, auch meinen damaligen Freund, der am anderen Ende Leipzigs wohnte. Wenn einer im Westen wohnt und im Nordwesten (außerhalb der Stadt) arbeitet, der andere im Südosten wohnt, dann kommt man zwangsläufig häufig durch die Innenstadt. Je nach Lust und Laune mit der Straßenbahn oder auch zu Fuß. Die Friedensgebete in der Nikolaikirche kannten wir, waren aber nur selten dort.

Im Sommer 1989 machte ich – ohne meinen Freund, aber mit 6 anderen Leuten aus unserem gemeinsamen Bekanntenkreis – eine Radtour durch Ungarn. Natürlich bekamen wir mit, was dort los war, sahen die Fotos in den Zeitungen von den an der ungarisch-österreichischen Grenze zurück gelassenen Trabis, wussten, dass die Grenze offen ist und interessierten uns nicht weiter dafür. Wir radelten unsere gut 500 km und fuhren schließlich wie geplant mit dem Zug zurück nach Leipzig.

Die Sommerferien waren zu Ende, die Schule hatte wieder begonnen, die Staatsbürgerkunde-Lehrerin war enttäuscht, weil noch keiner aus der Klasse Mitglied der SED war und weil sich keiner am Montag Abend nach dem alten Film im DDR-Fernsehen noch den „Schwarzen Kanal“ mit Karl-Eduard von Schnitzler ansah. Alles wie immer also. Allerdings gingen nun mehr Menschen zu den Friedensgebeten und irgendwann gingen sie anschließend nicht einfach nach Hause, sondern auf die Straße. Anfangs waren es wenige und man hörte am nächsten Tag von dem einen oder anderen, der am Montag „zugeführt“ und später wieder frei gelassen wurde. Es waren Menschen dabei, die ich mehr oder weniger gut kannte und es war jede Woche wieder ein beklemmendes Gefühl. Es wurden mehr Menschen, die auf die Straßen gingen. Ich war nicht bei jeder Montagsdemo dabei, aber bei vielen. Ich erinnere mich an die Demos Anfang Oktober 1989, als noch nicht klar war, wie die Polizei reagieren würde. Als plötzlich Polizisten mit Helm und Schutzschild vor uns standen (was ich so nur aus dem Westfernsehen kannte) und keiner wusste, wie sie reagieren würden. Ich erinnere mich an die Kerzen, an die Rufe „Keine Gewalt!“ und daran, dass alles friedlich blieb. An die Massen, die eine Woche später auf die Straße gingen und daran, dass plötzlich irgendwie alle dabei waren. Wir liefen den Ring entlang, am Stasigebäude („Runde Ecke“) vorbei und wir hatten wirklich das Gefühl, dass die Stasi uns nichts mehr anhaben könne.

Die Demonstrationen am Montag-Abend gehörten nun zu unserem Leben und wir hofften, wir können etwas verändern. Reisefreiheit war ebenso ein Wunsch wie „Mehr Demokratie“. Wir hofften auf eine Erneuerung des eigenen Landes, auf den Rücktritt der gesamten „Partei- und Staatsführung“ und auf freie Wahlen und konnten es uns kaum vorstellen.

Was ich am 9. November 1989 gemacht habe, weiß ich nicht mehr. Aber am Freitag, dem 10. November, beschlossen mein Freund und ich, am nächsten Tag nach Berlin zu fahren, um wenigstens einmal im Westen gewesen zu sein und unsere 100 DM Begrüßungsgeld abzuholen – schließlich wusste ja keiner, wie lange die Grenze offen bleiben würde.

Schule und Betreuung

Über Frau Brüllen und Karen bin ich auf das Thema (Grund-)Schule und Betreuung aufmerksam geworden und möchte hier auch meinen Senf dazu geben.

Ich selbst bin als Ost-Kind Baujahr 1970 (also noch vor Einführung des bezahlten Babyjahrs) mit Vollzeit- (noch dazu in unregelmäßigem Schichtdienst) arbeitender Mutti, sowie Kinderkrippe, Kindergarten, Hort und Oma und Opa aufgewachsen. An die Krippenzeit erinnere ich mich nicht, Kindergarten und Hort habe ich in guter Erinnerung – auch wenn sicher nicht alles perfekt war. Die allermeisten meiner Mitschüler hatten ebenfalls Vollzeit-arbeitende Eltern (und die zwei Mütter, die nicht arbeiten gingen, waren uns Kindern damals irgendwie suspekt). Wir gingen also ziemlich geschlossen von der Schule in den ca. 300m entfernten Hort. Dort gab es Mittagessen, im ersten Schuljahr auch noch Mittagsschlaf in 3-etagigen Stockbetten, dann wurde gespielt oder Hausaufgaben gemacht. Wenn ich nach Hause kam, war jemand da – entweder meine Oma oder meine Mutti. Die unregelmäßigen Arbeitszeiten führten dazu, dass sie auch mal mitten in der Woche einen freien Tag hatte – das war ziemlich praktisch. Ich hatte etwa eine Viertelstunde Fußweg zur Schule und da in den Nachbarhäusern etliche Schulfreundinnen wohnten, gingen wir eigentlich immer in Grüppchen.

Als ich mit dem besten (damals noch nicht Ehe-)Mann von allen in eine westdeutsche Kleinstadt zog, war uns auch wichtig, dass es Kindergärten und verschiedene Schulen in der Nähe gibt, so dass unsere künftigen Kinder nicht stundenlange Wege haben würden oder auf unsere Fahrdienste angewiesen wären.

Vier Jahre lang besuchte Saskia einen integrativen Kindergarten hier im Ort – Betreuungszeiten von 8 bis 16 Uhr, 3 Wochen Sommerferien und 2 Wochen Weihnachtsferien. Damit konnte ich zwar nicht Vollzeit arbeiten gehen (das hätte ich aber auch gar nicht gewollt), aber immerhin 60% (ich habe leider eine gute Stunde Arbeitsweg pro Richtung).

Eine passende Förderschule gibt es allerdings vor Ort nicht und deshalb ist Saskia nun doch täglich mit dem Schulbus unterwegs. Bei der Wahl der richtigen Förderschule waren für uns auch die Betreuungszeiten wichtig und eine Schule, die um 13 Uhr endet – und „höchstens an einem Nachmittag pro Woche“ eine Nachmittagsbetreuung bietet, kam auch deshalb nicht näher in Betracht. Saskias derzeitige Schule bietet Ganztagsbetrieb – aus „wirtschaftlichen Gründen“ finden die Busfahrten allerdings in zwei Touren statt. Die „Kleinen“ sind jeweils in der zweiten Tour, was für uns bedeutet, dass Saskia derzeit morgens um 8:30 Uhr abgeholt wird und um 16 Uhr Schulschluss hat, also gegen 16:30 Uhr wieder daheim ist. Das passt für uns ganz gut. Problematisch werden die Ausnahmen: Freitags ist bereits 14 Uhr Schulschluss und ca. einmal im Monat gibt es eine Mitarbeiterbesprechung, da ist bereits um 12:45 Uhr Schulschluss. Dazu kommen gut 12 Wochen Ferien, in denen es von Seiten der Schule keine Betreuung gibt. Da wir hier keine Großeltern zur ständigen Verfügung haben und die Betreuung eines behinderten Kindes etwas aufwendiger ist (und man das Kind nicht mal eben zu Freunden „wegorganisieren“ kann), ist das immer mit einigem Organisationsaufwand verbunden. Ich habe mir zusätzlichen Urlaub erkauft, indem ich übers Jahr auf einen Teil meines Gehalts verzichte und damit ein Zeitkonto fülle. Außerdem gibt es einen privaten Verein, der für maximal 6 Wochen im Jahr (und 375 € / Woche) eine Ferienbetreuung anbietet. Eine Platzgarantie gibt es allerdings nicht und so bleibt immer ein etwas mulmiges Gefühl, ob es denn auch klappt mit der Zusage. (Bisher hat es zum Glück geklappt und gerade haben wir eine Zusage für zwei Wochen Ferienbetreuung in den Sommerferien bekommen.) Bleiben noch die halben Schultage. Hier haben wir es so gelöst, dass der beste Ehemann von allen freitags von zu Hause arbeitet und Saskia in Empfang nehmen kann, Saskia dann aber am Nachmittag trotzdem (bei uns zu Hause) fremdbetreut wird. Ab Mai von einer (hoffentlich netten) neuen Betreuerin, da die bisherige leider künftig wegen ihres Studiums keine Zeit mehr hat. Übrig bleiben die halben Tage mit den Mitarbeiterbesprechungen, die unregelmäßig verteilt sind. Das bedeutet meist einen Urlaubstag für mich, denn zum Arbeiten gehen reicht an diesen Tagen einfach die Zeit nicht.

Fazit: Ohne Ganztagsschule könnte einer von uns nicht arbeiten gehen, was schade wäre, da uns beiden unsere Arbeit wichtig ist (und sie eindeutig unserer geistigen Gesundheit dient, auch wenn es stressig ist). Für Freitage oder Besprechungstage reicht die schulseitig angebotene Betreuung trotzdem nicht aus und Ferien sind wohl bei allen beruftätigen Eltern problematisch. Leider ist uns in den vergangenen Jahren ein Großteil unserer Kontakte hier im Ort verloren gegangen, da der Alltag einfach zu unterschiedlich ist. Dass Saskia jetzt ganz woanders zur Schule geht, hat den Effekt noch verstärkt. Das bedeutet auch, dass Saskia leider keine Freunde hat, mit denen sie sich zum Spielen treffen kann. Angebote von (Sport-)Vereinen passen entweder zeitlich nicht (weil Saskia noch nicht zu Hause ist) oder weil sie auf einem völlig anderen Entwicklungsstand ist als andere Kinder. Eine (altersgemischte) Sportgruppe mit Bewegungsangeboten oder irgendwas mit Musik am Freitag Nachmittag oder am Wochenende wäre nett, aber da scheint es nichts zu geben. Ich suche aber weiter.

Enttarnt

„Woher aus dem Osten kommen Sie denn?“, fragte der Erdbeer-Verkäufer vorhin. Huch!, das irritierte mich dann doch. Zumal ich außer dem Satz, dass die gestrigen (billigeren) Erdbeeren besser aussehen als die heutigen, gar nichts gesagt hatte. „Aus Leipzig“, antwortete ich und dass das ja nun auch schon einige Jahre her sei. Er behauptete, das höre man trotzdem. Er sei in der Nähe von Dessau geboren, aber seine Eltern wären in Richtung Westen (woher der Vater stammte) gezogen, als nach den Amerikanern „die Russen kamen“ 😉 Seiner Mutter hätte man die Herkunft aber auch ihr Leben lang angehört. Bin ich also als Ossi enttarnt – gibt Schlimmeres 😉