Du bist Bundestagsabgeordnete oder Bundestagsabgeordneter und hast vor FÜR den Gesetzentwurf für die Pflegereform 2021 zu stimmen?
Du freust Dich total über Euren Clou mit der neuen Verhinderungspflege? Du bist aber im neuen Bundestag nach der Wahl seltsamerweise nicht mehr mit dabei und auf der Suche nach einem neuen Job?
Dann bist Du genau der/die Richtige!
Wir suchen dringend ab der zweiten Jahreshälfte, wenn nach dem neuen Gesetz unser nun deutlich gekürztes Budget für die Verhinderungspflege längst aufgebraucht ist, zweimal die Woche für je 4 Stunden eine Betreuungsperson für unser behindertes Kind. Jemanden, der darauf brennt, rund um die Uhr für die Bedürfnisse eines kleinen behinderten Menschen da zusein, anstatt den eigenen zu folgen.
Und das sind Deine Stärken:
- Du bist zeitlich äußerst flexibel
- Du stellst Dich gerne auf immer neue Situationen ein
- Deine Umgang ist beruhigend, liebevoll und zugewandt
- Es macht Dir nichts aus, wenn alle Deine Kommunikationsversuche unbeantwortet bleiben
- Du spielst gerne und ausdauernd Ball
- Du liebst es stundenlang Bücher vorzulesen
- Windeln wechselst Du aus dem Effeff
- Du fütterst mit großer Geduld
- Im Anschluss die verkleckerte Kleidung zu wechseln ist ein Klacks für Dich
- Die ambitionierte Bedienung eines Talkers findest Du total easy
- Einen Rollstuhl oder einen Rollator bedienen – kein Problem für Dich
- Orthesen an – und ausziehen ist Dein Steckenpferd
- Deine Nerven sind stahlhart und werden auch nicht von ausgiebigem Brummen ins Wanken gebracht
- Coole Ideen zur Förderung der Selbständigkeit hast Du am laufenden Band
- Aber es ist auch ok für Dich, wenn nicht eine davon angenommen wird
- Lange Spaziergänge, bei denen Du einen Rollstuhl schiebst, findest Du toll
- Dein Rücken freut sich geradezu darauf, unser fast 16 jähriges Kind mehrfach zu heben oder zu tragen oder umzusetzen
- Deine Geduld geht Dir nie aus
- Du liebst es eine neue Sprache zu erlernen, auch wenn sie aus unverständlichen Worten besteht
- Du hast keine Angst davor, mit einem behinderten Kind den Spielplatz zu besuchen
- Die Blicke der Leute prallen an Dir ab
Hier wartet ein Langzeitjob auf Dich!
Na, haben wir Dein Interesse geweckt?
Das ist toll.
Dank Deines Einsatzes gewinnen wir ein paar Stunden in der Woche um komplikationslos einkaufen zu gehen, wichtige Erledigungen zu tätigen, ohne Anhang einen Arzt aufzusuchen oder uns einfach mal einen kurzen Moment von unserer anstrengenden 24/7/365 Pflegetätigkeit auszuruhen.
All das leistest Du sicher gerne ohne Bezahlung!
Denn durch Dein neues Pflegegesetz haben wir leider kein Budget mehr, um Dich für Deinen Einsatz entsprechend zu entlohnen. Wie blöd!
Aber Dankbarkeit reicht ja vielleicht auch!
Wenn Du Dich in dieser Anzeige wiederfindest, laden wir Dich herzlich ein schon jetzt einmal für 4 Stunden an einem Tag Deiner Wahl zum Probearbeiten bei uns vorbeizukommen!
Denk nach für was Du abstimmst!
Eine längere Kurzzeitpflege – wie Ihr sie in Eurem neuen Gesetz geplant und für dringend nötig befunden habt – brauchen wir Familien mit behinderten Kindern so gut wie nie.
Brauchten wir übrigens auch vor der Reform nicht. Unser Alltag lässt selten eine langfristige Planung zu, die aber nötig wäre um einen der wenigen freien Kurzzeitplätze zu ergattern. Und der Aufwand mit einem Transport des gesamten benötigten Equipments steht selten in einem Verhältnis zum akut benötigten kurzen Zeitbedarf. Ein Einkauf, Behördengang oder Arztbesuch umfasst übrigens auch äußerst selten mehrere Tage.
Zudem bedeutet es für viele behinderte Kinder eine enorme Belastung sich kurzfristig und jeweils von Neuem in einer fremden Situation unter fremden Menschen an einem fremden Ort zurechtzufinden.
Ein flexibel nutzbares Budget für die Pflegeverhinderung wäre das einzig Richtige.
Aber das wisst Ihr sicher längst. Ihr habt Euch im Vorfeld ja ganz bestimmt entsprechend betroffene Familien an den Tisch geholt, um eine Vorstellung der Situation in der privaten Pflege zu bekommen, oder etwa nicht?
Der Text ist nicht von mir, sondern von Karoline Burgmann. Allerdings kann ich ihn – wie viele Eltern von behinderten Kindern – ohne Probleme unterschreiben. Die geplante Pflegereform soll die Kurzzeitpflege stärken. Das ist sicher toll, nützt aber in der Praxis (zumindest bei behinderten Kindern) wenig. Es gibt kaum Kurzzeitpflegeplätze für Kinder und die wenigen sind bereits Monate vorher ausgebucht. Unbürokratische Verhinderungspflege (egal ob durch Pflegedienst oder Bekannte), die auch spontan einspringen kann, wenn sie benötigt wird, das ist es, was fehlt. Wir nutzen seit Jahren alle Töpfe (Verhinderungspflege, Kurzzeitpflege, Entlastungsbetrag aka zusätzliche Betreuungsleistungen), für ein paar Tage Kurzzeitpflege im Jahr und um einmal in der Woche einen freien Abend zu zweit zu haben (3,5 Stunden) und zahlen am Ende trotzdem einen großen Betrag selbst (außer im vorigen Jahr, wo wir schlicht kaum Ersatzpflege nutzen konnten). Künftig soll es auch nicht mehr möglich sein, nicht genutzte Gelder aus der Kurzzeitpflege für die stundenweise Verhinderungspflege zu nutzen. Das ist Mist! Denn die Kurzzeitpflege kann oft gar nicht komplett genutzt werden (siehe oben). Kurzzeitpflege stärken ist sicher eine gute Idee – aber bitte nicht zu Lasten der Verhinderungspflege und nicht auf dem Rücken behinderter Kinder und Eltern!
Weitere Informationen zum geplanten Gesetz gibt es unter anderem hier:
Pflegereform 2021: einmal Rolle rückwärts oder hier (Pflegedschungel – Pflegereform 2021)